Historie

Vom Homo sapiens bis zum Ötzi - Die Ursprünge des Bogenschießens

Wer sich auf die Suche nach den Ursprüngen des Bogenschießens begibt, muss ganz weit in die Frühgeschichte der Menschheit zurückblicken. Vor eineinhalb bis zwei Millionen Jahren entwickelte sich der Homo erectus. Wann und mit welchem Erfolg er begann, größere Tiere zu jagen und sich von ihnen zu ernähren, liegt im Dunkeln. Auf jeden Fall waren eine gewisse intellektuelle Entwicklung, der aufrechte Gang und zwei leistungsfähige Greifhände die körperlichen Voraussetzungen für die Entwicklung von Pfeil und Bogen. Bis dahin haben unsere Fleisch essenden Vorfahren ihre Beute über Klippen hinab in die Tiefe gejagt, ihnen Fallen gestellt, sie mit Steinen, später mit Speeren beworfen.

Die Bogenwaffe ist eine Weiterentwicklung der Speerschleuder. Die ältesten Pfeilspitzen stammen aus Afrika und sind ungefähr 70.000 Jahre alt. Erst kürzlich konnten Forscher in Frankreich Spuren finden, die auf die Verwendung von Pfeil und Bogen als Jagdwerkzeug vor ca. 54.000 Jahren schließen lassen. Diese ersten europäischen Bogenschützen müssen bereits Vertreter des Homo sapiens gewesen sein, die wenigstens eine Zeit lang mit den noch schwächer entwickelten Neandertalern zusammenlebten. [mehr] Weitere Funde, Pfeilspitzen als Grabbeigaben, Bogenreste, Höhlenwandmalereien, stammen aus der jüngeren Altsteinzeit, also der Zeit zwischen 35.000 und 8.000 v.Chr. Der vielleicht älteste Bogen der Welt wurde Ende der 1970er Jahre in Mannheim-Vogelstang gefunden, das rund 40 Zentimeter lange Fragment aus Kiefernholz ist 17.600 Jahre alt. Mit dem ursprünglich ca. 110 Zentimeter langen Bogen konnte bis zu 80 Meter weit geschossen werden. [mehr] Wenn es sich nicht doch – wie andere Archäologen vermuten – nur um ein einfaches Stück Treibholz handelt. Etwa 12.000 Jahre alte Pfeilschäfte aus Kiefernholz hat man in Stellmoor bei Hamburg gefunden, einen 8 –10.000 Jahre alten Bogen aus Eibenholz in Holmegard/Dänemark.

Sehr anschauliche Zeugnisse des vorzeitlichen Bogenschießens sind die 30.000 bis 10.000 Jahre alten Höhlenmalereien, die Tiere und ihre Jäger zeigen. Sie dienten sicher weniger der Dekoration des Wohnraums unserer Vorfahren als vielmehr religiös-kultischen Zwecken: der Versöhnung mit dem getöteten Tier, der Besänftigung seiner Geister sowie dem Dank des vergangenen und Erbitten des künftigen Jagdglücks. Einige von ihnen vermitteln auch den Eindruck, als habe man sie als Zielscheiben benutzt, zum Üben für den Nachwuchs oder zum Zeitvertreib.

Mythologie

In der antiken, besonders der griechischen Mythologie spielen Pfeil und Bogen eine wichtige Rolle. Artemis und Apollon, die Zwillingskinder, die Göttervater Zeus mit Leto zeugte, bedienten sich in erster Linie dieses Geräts – Artemis (bei den Römern: Diana) als Göttin der Jagd, Apollon auch als Athlet: „Denken will ich und nimmer vergessen Apollons, des Schützen,“ reimt Homer in seinen Hymnen, „alle springen empor von den Sitzen, wenn er sich nähert, wenn seinen strahlenden Bogen er spannt.“ [mehr]

Herakles, der all-griechische Heros, hatte Pfeil und Bogen von Apollon erhalten, bevor er damit einige seiner Heldentaten vollbrachte. Auch Paris war ein guter Bogenschütze: Vor Troja bezwang er den ansonsten unverwundbaren Achilles mit einem Schuss in die Ferse, wobei ihm allerdings Apollon die Hand führen musste. Vorher hatten die Griechen bei den Leichenspielen, die sie für Achilles gefallenen Freund Patroklos ausrichteten, einen Vogel an das obere Ende eines Schiffmasts gebunden und um die Wette auf ihn geschossen – eine Disziplin, die im „Vogelschießen“ der Schützengesellschaften überlebt hat und auch bei den zweiten Olympischen Spielen der Neuzeit im Jahr 1900 in Paris ausgeübt wurde. [mehr]

Der listenreiche Held Odysseus besaß einen ursprünglich von Apollon stammenden Bogen, der so kostbar war, dass er ihn nicht mit in den Krieg nahm sondern zuhause auf Ithaka in einem Futteral aufbewahrte. Nur er konnte ihn spannen und damit nach seiner Rückkehr die 12 Äxte durchschießen, womit er die Freier seiner Gattin Penelope aus dem Rennen warf.

Auf doppelaxtförmige Kupferplatten schossen auch die Ägypter. Schon im Alten Reich (ca. 2640 – 2134 v. Chr.) übten sie das Bogenschießen auf Zielpfosten. Im Neuen Reich, ab etwa 1550 v.Chr., kam das sportliche Bogenschießen auf. Kompositbögen aus der Zusammenfügung von hartem und weichem Holz, Horn und Tiersehnen verliehen dem Pfeil hohe Durchschlagskraft und Treffsicherheit. Im Grab des Tutanchamun wurden fast drei Dutzend Kompositbögen gefunden. Der bedeutendste Bogenschütze des Altertums und (nach eigener Einschätzung) überhaupt der größte Athlet, der je die ägyptische Königskrone getragen hat, war der Pharao Amenophis II. (1438 – 1412 v. Chr.). Er überzeugte sich persönlich von der Arbeit seiner Bogenbauer, bespannte 300 starke Bögen, wie es auf einer Stele heißt, „um den Nichtskönner vom Fachmann zu unterscheiden“. Er schoss vor großem Publikum vom fahrenden Wagen aus auf drei Finger dicke Kupferbarren, „weil jede Holzscheibe durchstoßen wird wie Papyrus.“

In den Kriegen der Antike

Einfache, verstärkte und zusammengesetzte Holzbögen waren im Altertum in Ägypten, Vorderasien, Griechenland und Italien verbreitet. In Griechenland bestand die Spitze des Pfeils in Mykenischer und vormykenischer Zeit (bis 1200 v.Chr.) entweder aus Obsidian oder Feuerstein oder Bronze. Der Schaft war aus Rohr und manchmal gefiedert. Auch die Perser verwendeten Pfeile mit langen Rohrschäften wie die Parther. Für die Skythen waren Pfeile mit verstärkten und gefiederten Schäften charakteristisch. Mit solch stabilisierendem Zubehör konnte man nicht nur zielsicher schießen sondern auch große Entfernungen überwinden. Von verschiedenen antiken Wettkämpfen im Weitschießen liegen Berichte vor. Der Sieger eines Turniers in Olbia an der Westküste des Schwarzen Meeres erreichte 522 Meter. [mehr] In römischer Zeit gab es drei- oder vierkantige Pfeilspitzen oder auch solche aus einfachen Eisenblechstreifen.

Die Perser verfügten über ausgezeichnete Bogenschützen zu Pferd und zu Fuß, die den Athenern in der Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.) große Probleme bereiteten. Daraufhin stellten auch die Athener eine eigene Truppe von Bogenschützen auf, die sie zehn Jahre später bei Salamis erfolgreich einsetzten. Im römischen Heer gab es Bogenschützen nicht vor den 2. Punischen Krieg (218 – 201 v.Chr.) gegen Hannibal. Sie waren ausschließlich fremde Söldner. Mit der zunehmenden Bedeutung der Fernwaffen führte zwar der Feldherr Gaius Marius (156 – 86 v.Chr.) das Bogenschießen in den Legionen ein, die Schützen blieben aber auxiliarii, also (nichtrömische) Hilfstruppen. In der byzantinischen Zeit nach der Teilung des Römischen Reichs waren die Bogenschützen (Sagitarii) beritten und trugen Rüstung.

Ötzi, der Bogenschütze

Älter als die Geschichten der griechischen Mythologie oder die sagenhaften Taten der ägyptischen Pharaonen ist das vollständige Bogenequipment, das im Jahr 1991 am 3208 Meter hohen Tisenjoch in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde. [mehr] Es gehörte einem ca. fünfzigjährigen Mann, der vor ziemlich genau 5250 Jahren an einem Pfeilschuss starb. Seine Leiche lag in einer „zur Tatzeit“ vermutlich eisfreien Mulde, schneite bald ein und wurde in der Folge von Gletschereis bedeckt, das sie erst im warmen Sommer von 1991 teilweise freigab. „Der Ötzi“, wie die Eismumie bald genannt wurde, trug ein zu seinen Lebzeiten sehr wertvolles Kupferbeil bei sich, mit dem er seinen Bogen und die ebenfalls gefundenen Pfeile bearbeiten konnte. Denn der 1,82 m lange Stab, der bei ihm gefunden wurde, war ein frisch aus einer 8-11 cm dicken Eibe geschlagener Rohling, der auf ganzer Länge starke Bearbeitungsspuren zeigt und fast fertig war. Wahrscheinlich sollte er noch etwas dünner und kürzer werden, denn die besten Schießergebnisse erzielt man, wenn die Bogenlänge etwa der Körpergröße des Schützen entspricht. Ist der Bogen zu kurz, wird er schnell überzogen und droht zu brechen, ist er zu lang, kann er nicht so weit ausgezogen werden, dass er genügend Kraft speichert. Versuche mit einem Nachbau haben ergeben, dass man mit dem Bogen, so wie er ist, auf 30 bis 50 Meter problemlos Tiere erlegen konnte. Ein absolutes Unikat ist der lederne Pfeilköcher, den der Gletschermann mit sich führte. Er diente zum Schutz der Pfeile vor Feuchtigkeit und schlechtem Wetter und dazu, dass der Träger beide Hände für andere Tätigkeiten frei hatte. Ötzis Köcher ist 86 cm lang und mit dem 92 cm langen Ast eines Haselnussstrauchs verstärkt, der an einer Seite mit einem Lederband angenäht ist. Er war mithilfe eines Lederlappens verschließbar. Bei Bedarf konnte der Köcher sehr schnell aufgeklappt und mit einer einzigen Armbewegung ein Pfeil herausgezogen werden. Im Köcher befanden sich insgesamt 14 Pfeile, von denen zwei mit Pfeilspitzen und einer Befiederung versehen, also einsatzbereit waren. Sie sind die besterhaltenen neolithischen Pfeile Europas. Erst vor drei Jahren haben die Wissenschaftler die Sehne des Eismannes identifizieren. Prähistorische Bogensehnen gehören zu den seltensten Funden bei archäologischen Ausgrabungen überhaupt. In Ötzis Köcher wurde ein ca. 2 m langes Seil gefunden, dessen Material vor allem aufgrund seiner bräunlichen Farbe bisher für pflanzlich, nämlich für Lindenbast gehalten worden war. Kürzlich angestellte Untersuchungen – auch im Labor an einer mikroskopisch kleinen Faserprobe - konnten aber beweisen, dass die Schnur eindeutig aus den Sehnen einer nichtidentifizierbaren Tierart hergestellt wurde. Beide Enden sind geknotet, das eine mit einer einfachen Schlaufe vermutlich vorläufig zum Schutz vor Ausfransung, das andere mit einem sogenannten Ankerknoten, der sich versuchsweise als geeignet erwies, die Sehne eines 80-Pfund-Bogens zu halten, ohne dass sie verrutschte. Die Länge wäre genau ausreichend für Ötzis unfertigen Bogen, aufgespannt misst die Sehne noch 2 mm im Durchmesser und würde genau in die Nocken der Pfeile aus dem Köcher passen. Die Tatsache, dass die Schnur aus dem perfekten Material ist und dass sie in einem Pfeilköcher aufbewahrt wurde, dürfte mit 99 prozentiger Sicherheit beweisen, dass sie die älteste Bogensehne der Welt ist.

Die Germanen

Auch die (von den Römern so genannten) Germanen kannten und praktizierten das Schießen mit Pfeil und Bogen, bis zum 4. Jahrhundert n.Chr. allerdings hauptsächlich zur Jagd. Der Bischof von Pavia, Ennodius, berichtet Ende des 5. Jahrhunderts, dass sie sich „beim Pfeile schießen die Arme stählten“. Aus dieser Zeit mehren sich auch die Fund und die Nachrichten. Die Bögen der germanischen Völker waren eher einfach, aus Ulme, Esche oder Eibe hergestellt und damit auch ärmeren Schichten erschwinglich. Aber auch hier sind außergewöhnliche Leistungen überliefert: Dem Veteran in römischen Militärdiensten Soranus wurde im 2. Jahrhundert nach Christus folgendes auf den Grabstein gemeißelt: „Weit bekannt war ich einst im pannonischen Land, ich, der den vom Bogen geschnellten Pfeil, solang in der Luft er schwebte, sicheren Auges traf, mit einem zweiten ihn spaltend. Ich, den weder ein Römer noch ein Soldat der Barbaren jemals im Speerwurf, kein Parther im Bogenschießen besiegte“. [mehr] Soranus war ein Bataver, Angehöriger eines ursprünglich in Mittel- und Nordhessen ansässigen Germanenstamms, der aufgrund von Konflikten im 1. Jahrhundert vor Christus auswanderte und sich am Niederrhein und an der Rheinmündung ansiedelte. Bataver dienten dem römischen Kaiser Hadrian als berittene und mit Pfeil und Bogen bewaffnete Hilfstruppen, die darüber hinaus exzellent schwimmen konnten. Schon als Kinder – das berichten antike Quellen – lernten sie das Bogenschießen. „Hier liege ich“, sagt die Inschrift auf dem Grabstein des Soranus am Schluss, „diesem Erinnerungsstein habe ich meine Taten anvertraut“. Und dann wendet er sich noch einmal an alle Speerwerfer, Schwimmer und Bogenschützen: „Soll einer sehen, ob er mir das alles nachmachen kann. Ich bin mir selbst das Vorbild, der erste, der das vollbrachte“.